Mehrere EU-Mitgliedsstaaten haben im Zuge der Corona-Krise temporäre Grenzkontrollen eingeführt. Zu der Situation in Sachsen erklären Lucie Hammecke, europapolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, und Anna Cavazzini, Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Europäischen Parlament:

„Wir fordern die tschechische und die polnische Regierung auf, die Leitlinien der EU-Kommission für Grenzmanagementmassnahmen umzusetzen. Es braucht eine schnelle und pragmatische Lösung für die vielen Berufspendlerinnen und -pendler, die sich im sächsisch-tschechischen/-polnischen Grenzraum aktuell immensen Einschränkungen ausgesetzt sehen.“

„Menschen gelangen nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen und Unternehmen müssen erhebliche Einbußen hinnehmen, weil ihre Mitarbeitenden nicht zur Arbeit erscheinen können. Während es zur Eindämmung des Virus richtig ist, unnötige Reisetätigkeit so weit wie möglich zu unterbinden, ist eine komplette Schließung der Grenze keine verhältnismäßige Maßnahme. Schließlich ist das Virus schon in allen EU-Staaten verbreitet.“

„Die Grenzregionen sind in den letzten Jahren eng zusammengewachsen. Die aktuelle Situation ist hierfür eine schwere Belastungsprobe. Um Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten, sind jetzt schnelle, pragmatische Lösungen gefragt. Wir begrüßen die Ausnahmeregelung für tschechische Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich. Wir plädieren aber dafür, diese auf alle Berufspendlerinnen und -pendler, auch aus Polen, auszuweiten oder zumindest auf diejenigen, die in der Landwirtschaft, dem Handwerk oder im Bildungsbereich tätig sind. Sie könnten beispielsweise ein Zertifikat ihrer Arbeitgebenden mit sich führen, was ihnen die schnelle Ein- und Ausreise ermöglicht.“

„Das Schengen-Abkommen ist eine der größten europäischen Errungenschaften. Auch angesichts seiner 25-jährigen Existenz appellieren wir an alle Regierungen, den Geist dieser Vereinbarung ernstzunehmen und gemeinsam zu handeln.“

„Die Menschen in den Grenzregionen zu Tschechien und Polen leben seit vielen Jahren einen europäischen Alltag, über Grenzen hinweg. Die Grenzschließungen sind für viele zwischenmenschliche, über Jahre gewachsene Kontakte ein scharfer Einschnitt. Diese Zeit der geschlossenen Grenzen muss zeitlich befristet sein. Wir fordern die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten auf, alles dafür zu tun, dass das Europa zwischen den Menschen, die Begegnungen, Projekte und der grenzübergreifende Alltag nach Wiederöffnung der Grenzen nahtlos wieder aneinander anknüpfen kann.“
 
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Nach EU-Recht ist die Einführung temporärer Grenzkontrollen in bestimmten Ausnahmesituationen möglich, z.B. wenn es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geht und die Mitgliedsstaaten dies bei der Kommission notfizieren. Das EU-Recht erlaubt Grenzkontrollen, lässt es aber im Normalfall nicht zu, dass EU-Bürgerinnen und -Bürgern die Einreise verwehrt wird. Dies ist nur in individuellen, gut begründeten Situationen der Fall. Die aktuelle Situation an vielen Binnengrenzen in der EU ist also nicht europarechtskonform. Aufgrund der Sondersituation der Corona-Krise hat die Kommission entschieden, keine rechtlichen Schritte gegen die Mitgliedsstaaten zu unternehmen. Sie hat aber Vorschriften erlassen, wie mit dem de-facto-Aussetzen der Bewegungsfreiheit in der EU umzugehen ist und den Schaden so gering wie möglich zu halten. Deutlich fordert die Kommission darin die Mitgliedsstaaten auf, zumindest eine Lösung für die Grenzpendlerinnen und -pendler zu finden. Insbesondere in Sachsen sind gerade viele Menschen und Unternehmen von den immensen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Tschechien und Polen betroffen.