Ein Gespräch von Lucie Hammecke und Valentin Lippmmann am 05. April 2022.

Wir haben den Fall von Jens Maier noch einmal zusammengefasst:

Jens Maier war bis 2017 Richter am Landgericht Dresden und zog danach zur Bundestagswahl 2017 als Abgeordneter der AfD in den Bundestag ein. Mit der Bundestagswahl 2021 verlor er sein Mandat, obwohl er auf Platz 1 der Landesliste der AfD Sachsen stand. Die CDU verlor sehr viele Direktmandate an die AfD, so dass die Landesliste der AfD Sachsen nicht zog. Maier ist bekannt für seine stark völkisch nationalen Positionen, seine Hetze gegen Migrantinnen und Migranten oder seine Rede, in der er mittelbar Verständnis für den Massenmörder Breivik gezeigt hat. Er ist Rechtsextremist unter den Rechtsextremen. Das war er auch nachweislich, denn er war Sächsischer Landes-Obmann des rechten „Flügels“ der AfD. Als einen relevanten Anknüpfungspunkt für seine Gesinnung kann man sogar die Entscheidung Maiers in seiner Eigenschaft als Richter am Landgericht Dresden 2016 sehen, in der er bereits seine Gesinnung in seine Entscheidung einfließen ließ und dem Dresdner Politikwissenschaftler Steffen Kailitz Äußerungen zur NPD im Eilverfahren untersagte. Kailitz war zu diesem Zeitpunkt Sachverständiger im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dies zeigt in der Gesamtschau, dass Maier längst nicht auf dem Boden der freihheitlich-demokratischen Grundordnung steht.

Nachdem Maier nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag seinen Antrag auf Rückführung in den Richterdienst gestellt hatte, wies das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) Maier fristgerecht zum 14.03.2022 dem Amtsgericht Dippoldiswalde zu. Hier besteht nach herrschender Auffassung für das Ministerium auch kein Ermessensspielraum für die Rückführungsentscheidung. Es besteht aber kein Anspruch auf die ursprüngliche Stelle, sondern nur auf eine besoldungsadäquate Verwendung.

Rechtliche Möglichkeiten der Entfernung aus dem Richterdienst

Im Zusammenhang mit der Rückkehr gibt es grundsätzlich drei Verfahrenswege, die im Fall Maier eingeschlagen beziehungsweise diskutiert werden:

Disziplinarrechtliche Untersagung der Amtsgeschäfte

Das klassische Instrument im Beamtenrecht und erste Säule ist das Disziplinarverfahren gegen Richter oder Beamte, welches sich typischerweise gegen Vergehen wie den Verstoß gegen beamtenrechtliche Treuepflichten richtet. Das Verfahren richtet sich beispielsweise auch gegen Polizisten, die sich rechtsextrem äußern. Es bestehen verschiedene Sanktionsinstrumente wie Verweise, Geldstrafen, Kürzung der Bezüge oder als Ultima Ratio die Entfernung aus dem Dienst bis hin zur Aberkennung der Dienstbezüge bei pensionierten Richter*innen oder Lehrer*innen.

Dieses Verfahren wurde im Fall Maier am 14.03.2021 vom zuständigen Landgericht Dresden eingeleitet. Es läuft zunächst ein Vorermittlungsverfahren, in dem Maier auch angehört wird. Wenn dieses abgeschlossen ist, kann dann das SMJusDEG Disziplinarklage zum zuständigen Spezialgericht erheben, dem Richterdienstgericht beim Landgericht Leipzig. Rechtsmittel gegen dessen Entscheidungen können beim Oberverwaltungsgericht Bautzen eingelegt werden, als letzte Instanz entscheidet der Bundesgerichtshof.

Ruhestandsversetzung

Die zweite Säule ist die Ruhestandsversetzung, deren Anknüpfungspunkt die Abwehr von Schaden für die Rechtspflege durch Richter*innen ist. Hier geht es nicht um einzelne disziplinarische Verfehlungen, sondern, dass in der Öffentlichkeit, auch durch legales Verhalten ein Eindruck entsteht, dass es untragbar ist, wenn diese Person Recht spricht.

Das SMJusDEG hatte bereits einen Monat vor der Rückkehr Meiers ein weiteres Verfahren rechtszeitig gestartet und die Versetzung in den Ruhestand nach § 31 DRiG beim zuständigen Richterdienstgericht beantragt. Zudem hat es einen Eilantrag auf vorläufige Untersagung der Amtsgeschäfte nach § 35 DRiG gestellt, über welches auch vor der Rückkehr hätte entschieden werden können. Dieses Verfahren wurde bisher nur in seltenen Fällen angewandt. Das zuständige Landgericht Leipzig hatte über den Eilantrag nicht rechtzeitig vor Dienstantritt Meiers entscheiden können, da dessen Prozessbevollmächtigter -ein bekannter rechter Szeneanwalt- Akteneinsicht beantragt hatte. Am 25.03.2022 untersagte das Richterdienstgericht Meier dann vorläufig die Amtsgeschäfte, ein Etappensieg für die Justiz. Es spricht viel dafür, dass das Gericht in der Hauptsache zur ähnlichen Entscheidung kommt.

Richteranklage

Die Dritte Säule ist die Richteranklage gemäß Art. 98 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dieses verfassungsrechtliche Instrument erlaubt es dem Landtag unter hohen Voraussetzungen beim Bundesverfassungsgericht die Entfernung eines/r Richters/in bei einem Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung inner- oder außerhalb des Dienstes zu beantragen. Die Richteranklage hat es in der Praxis bisher noch nie gegeben, weshalb auch eine Reihe Unklarheiten bestehen, die das berufene Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung klären müsste. Deshalb haben wir GRÜNE uns entschieden, zunächst ein Rechtsgutachten in Auftrag zu geben, um die landesrechtliche Möglichkeit der Richteranklage nach Art. 80 der Sächsischen Verfassung für den Landtag zu prüfen.

Das Gutachten des renommierten Staatsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers konnte folgende unserer Fragen klären:

  • Bedeutet „ein Entgegentreten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ ähnlich wie beim Parteiverbotsverfahren zusätzlich eine aggressiv kämpferische Haltung des/r Richters/in?

Das ist in der Kommentarliteratur recht umstritten. Unser Gutachter Möllers bringt hier als ehemaliger Verfahrensbevollmächtigter im NPD-Verbotsverfahren die entsprechende Expertise ein. Er kommt zu dem plausiblen Ergebnis, dass es anders als beim Parteiverbotsverfahren nicht einer aggressiv kämpferischen Grundhaltung bedarf und die Schwelle niedriger liegen müsse. Zum einen greift die Richteranklage nur in die Rechte einer Einzelperson und nicht einer gesamten Partei ein. Zum anderen hat die richterliche Tätigkeit eine hohe Grundrechtsrelevanz für Bürger*Innen, deren Rechte es besonders zu schützen gilt.

  • Fallen Äußerungen während der Mandatszeit als Bundestagsabgeordneter in den Anwendungsbereich der Richteranklage?

Dies ist im Disziplinarverfahren durchaus ein Problem, denn grundsätzlich ruhen Rechte und Pflichten des Richters. Auch hier wird vereinzelt vertreten, dass jedoch eine verfassungsmäßige Grundtreue weiterlaufen müsse. Das Gutachten bejaht überzeugend die Frage, dass man auch auf Äußerungen als Abgeordneter zurückgreifen kann.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass bei Richter Maier ausreichende Nachweise vorlägen, die eine Richteranklage begründen können und einen Präzedenzfall begründen würden. So habe Maier in der Vergangenheit nicht nur seine rassistischen Thesen beim „Flügel“ der AfD, sondern zuletzt vor der Bundestagswahl 2021 auch bei der Pegida-Bewegung geäußert, welche zu dieser Zeit schon als verfassungsfeindlich eingestuft wurde.

Andererseits zeigt das Gutachten auch die Risiken auf, die einerseits darin liegen, dass es im Landtag zunächst eine 1/3 Mehrheit braucht, um den Antrag im Landtag zu stellen und folgend eine 2/3 Mehrheit, um die Richteranklage zu beschließen. Außerdem sieht das Verfahrensrecht enge Fristen vor. Die Richteranklage muss zwei Jahre nach einer „Tat“ erhoben werden, die an die Tätigkeit beim AfD-Flügel, aber auch die Reden vor Pegida anknüpfen können. In jedem Fall besteht hoher Zeitdruck.

Gesetzlicher Regelungsbedarf

Da wir nicht davon ausgehen können, dass Maier der letzte Fall dieser Art in Sachsen sein wird, müssen wir auch darüber sprechen, welche Nachschärfungen es in einfachgesetzlichen Regelungen braucht.

So wurde die Debatte darüber geführt, ob bei einer Rückkehr von Abgeordneten ins Richteramt eine erneute Prüfpflicht auf Verfassungstreue besteht. Eine solche Regelung gab es zwar schon einmal, wurde dann aber entfernt, als das Abgeordnetengesetz (AbgG) in seiner derzeitigen Fassung verabschiedet wurde. Damit ist der aktuelle Wortlaut des AbgG eindeutig und erlaubt keine erneute Prüfung. Hätte das Ministerium die Rückkehr dennoch verweigert, gäbe es hiergegen Rechtsmittel im Eilverfahren, deren Auswirkungen bei einer anderen Entscheidung der Gerichte nur schwer abzuschätzen sind.

Eine andere Debatte, die heftig geführt wurde, betrifft der Ruf nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens schon vor der Rückkehr Meiers in den Justizdienst. Es sprechen gute Gründe dafür, dass das SMJusDEG sich formal für den rechtssicheren Weg entschieden und zugewartet hat. Es muss auch überlegt werden, wieviel Zeit man bei den notwendigen Vorermittlungen hätte gewinnen können. Aber es lohnt sich, die sächsischen Regelungen zur Subsidiarität im Justizgesetz zu lesen, wonach nicht das Gericht, sondern das Justizministerium vorrangig – wie auch in anderen Bundesländern – zuständig ist.

Auch fallen uns die Widersprüche zwischen den einzelnen Instrumenten auf. Wie steht ein Ruhestandsverfahren zur Richteranklage? Ruht es wie das Disziplinarverfahren? Oder wie gehen wir mit solchen Konstellationen wie Maier um, der nicht durch einen Einzelverstoß auffällt, sondern einem verdichteten Verhalten. Wie knüpft hier die Zwei-Jahres-Frist an? Es bedarf der Lektüre und der Diskussion der einfachgesetzlichen Regelungen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz.

Zum Schutz des hohen Stellenwerts der richterlichen Unabhängigkeit in unserer Verfassung dürfen diese Instrumente nie zu politischen Zwecken missbraucht, sondern nur zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Ordnung genutzt werden.

Zuletzt ein Blick über den Tellerrand nach Hessen und Berlin: So wurde auch in Berlin die Rückkehr einer AfD Bundestagsabgeordneten in den Justizdienst diskutiert, was gelang. In Berlin besteht aber das Instrument der Richteranklage nicht. Ob hier die anderen Instrumente ausreichen werden, ist fraglich.

In Hessen ist die Richteranklage in der Landesverfassung anders ausgestaltet. Dort kann neben dem Landtag auch der Antrag vom Justizministerium im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuss gestellt werden.

Wie geht es nun weiter?

Es spricht viel dafür, dass der Weg des Ruhestandsverfahren am schnellsten ist, Maier nicht mehr Recht sprechen zu lassen. Einstweilen ist das so, nun müssen wir die Hauptsache abwarten. Es hat den Nachteil, dass der Richter weiter Anspruch auf seine Bezüge hat und keine Feststellung erfolgt, dass dieser Richter evident Verfassungsfeind ist.

Das Disziplinarverfahren kann hierzu parallel geführt werden und zielt auf Aberkennung der Ruhegehaltsbezüge. Wegen der Instanzenzüge dauert dieses Verfahren sehr lang und steht zudem vor dem Problem der Sperrwirkung zur Abgeordnetenzeit.

Die Richteranklage wiederum verhält sich sehr klar zur Disziplinarklage und unterbricht das Verfahren. Sie hat Vorrang. Beim Ruhestandsverfahren ist dies unklar. Es ist umstritten, ob in Hinblick auf die unterschiedlichen Schutzzwecke das Verfahren vor dem BVerfG das Ruhestandsverfahren unterbrechen kann oder nicht. Diese Abwägung müssen wir nun führen und die Richteranklage vorbereiten.

Entschlossenes Handeln für den Rechtstaat

Es bleibt eine komplexe Materie, die es in dieser Gestalt weder in Sachsen noch bundesweitgegeben hat. Wir müssen und sollten uns aber dieser Verantwortung im Landtag stellen. Wir halten die Richteranklage für ein passendes Instrument und sollten es ergreifen, um eben die Debatten auch weiterzuführen, sonst stehen wir in zwanzig Jahren vielleicht wieder an derselben Stelle. Wann, wenn nicht in diesem Fall?!


Hier findet ihr den Mitschnitt meines Gesprächs mit Valentin: